“Denn ich halte davor, der Dichter soll seine Umrisse auf ein weitläufig gewobenes Zeug aufreißen, damit der Musikus vollkommenen Raum habe, seine Stickerei mit großer Freiheit und mit starken oder feinen Fäden, wie es ihm gut dünkt, auszuführen. Der Operntext soll ein Karton sein, kein fertiges Bild.” Johann Wolfgang von Goethe
26. Februar 2013 | Autor Rena Jacob
Nördlich von Berlin, in Perleberg ist Lotte Lehmann am 27. Februar 1888 geboren, sie war eine der größten Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts, darüber hinaus eine anerkannte Dichterin, Schriftstellerin und Malerin. Doch die Opernwelt blieb immer ihre Welt,
für sie eine Welt, in der sie sich ausleben konnte, mit all der Theatralik und der Kraft, der Interpretation der verschiedensten Rollen. Dieses sich immer wieder neu erfinden, das hatte für Lotte Lehmann ihren ganz besonderen Reiz, es entsprach ihrer Ausdrucksfähigkeit. Bereits als Kind zeigte sich ihr Talent, das auch ihre Eltern wohlwollend betrachteten; doch lehnte der Vater, selbst ein kleiner, solider, wilhelminischer Beamter, eine Bühnenkarriere für seine Tochter ab, er hätte es lieber gesehen, wenn sie einen ‚ordentlichen Beruf’ erlernt hätte. Doch die willensstarke Tochter Charlotte ließ sich dahingehend nicht beirren und nachdem sie die Aufnahmeprüfung an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin bestanden hatte, willigte auch der Vater ein. Sie rundete ihre klassische Ausbildung dann in Berlin ab und hatte dabei die besten Gesangslehrer ihrer Zeit. Im Herbst 1910 debütierte sie an der Hamburger Oper in der Zauberflöte. Es folgten Engagements an großen Bühnen bis sie 1916 zum gefeierten und geliebten Star der Wiener Hof-, der späteren später Staatsoper wurde. Sich in Wien damals als Preußin durchzusetzen, sowohl bei den Kollegen wie auch beim Publikum, waren nicht selbstverständlich, doch ihr Können und ihre Persönlichkeit überstrahlte alles, da hatten Ressentiments keinen Platz. So entwickelte sie sich zu einer bedeutenden Strauss- und Wagnerinterpretin, die Triumphe auf den Bühnen der Welt feierte, sie trat in Paris, London, Buenos Aires, Chicago, San Francisco und New York City auf und jedes Mal brandete der Applaus des Publikums. Der berühmte Leo Slezak beschrieb sie folgendermaßen: „Sie besaß das Geheimnis, das einzige Geheimnis, das wir haben: Herz. Ein Ton, der aus dem Herzen kommt, geht dem Hörer zu Herzen, vielleicht weiß er nicht einmal, was eigentlich ihm solche Freude bereitet, was ihn so zufrieden und glücklich macht.“
Zu den Bewunderern ihrer Gesangskultur und ihres verzehrenden Bühnentemperaments zählten Puccini, Toscanini und Caruso. Aber auch das private Glück durfte sie erleben, früh lernte sie, Otto Krause-Jakobowitz kennen und lieben, doch war dieser verheiratet und wollte sich von seiner schwer kranken Frau nicht trennen, so lebten sie jahrelang‚ nur’ zusammen, bis sie 1926 heirateten. Sie gestalteten ihren Lebensmittelpunkt in Wien, wo Otto Krause-Jakobowitz sein Bankhaus. Nach der Machtübergabe 1933 an die Nationalsozialisten, bot ihr Hermann Göring, der neben Adolf Hitler, einer ihrer größten Bewunderer war, die Aufnahme in den nationalsozialistischen Kunstbetrieb als ‚Erste Dame’ an. Empört lehnte Lotte Lehmann ab und packte noch am selben Tag, löste ihre Wohnung auf und zog gänzlich nach Wien. [Nicht alles reine Wahrheit] Vor dem Anschluss Österreichs 1938 an das Deutsche Reich emigrierte sie, mit ihrem Mann, wie viele andere NS-Opfer, und fand eine neue Heimat in den Vereinigten Staaten. Von 1938 bis 1945 wurde die Metropolitan Opera in New York der Mittelpunkt ihres Künstlerlebens, von dem aus sie die Amerikaner mit ihrer Sangeskunst und anrührenden Rollenverkörperung begeisterte. Leider erlebte ihr Mann diese Triumphe nicht mehr, und dem Aufbau einer neuen Existenz in den USA als Exilant, kam auch die körperliche Schwäche hinzu, so dass er nicht genug Abwehrkräfte hatte um eine Lungenentzündung zu überstehen. Er verstarb 1939 mit erst 56 Jahren; ein tiefer Einschnitt im Leben von Lotte Lehmann. 1951 verkündete sie während eines Konzerts in der New Yorker Town Hall das Ende ihrer Bühnenkarriere. Lotte Lehmann sagte: “Ich nehme an, Sie wissen, dass die Marschallin im ‚Rosenkavalier’ eine meiner liebsten Rollen gewesen ist. Diese Marschallin ist eine sehr kluge Frau. Sie schaut in den Spiegel, und sie sagt: Es ist Zeit. Ebenso habe ich, als Sängerin, in den Spiegel geschaut, und nun sage ich: Es ist Zeit”. Ein Kritiker schrieb über sie: “Ihre Stimme jauchzte lerchenhaft auf, um nachtigallensüß zu verschweben. Sie besaß die so seltene Begabung, dem Wort denselben Stellenwert zu verleihen wie der Musik. Wenn sie vom Frühling sang, dann glaubte man ihr förmlich den frischen Hauch des Frühlings, wenn sie die Rose besang, den Duft der Rose zu spüren. Darüber aber stand der Glanz ihrer einzigartigen Persönlichkeit, der in seiner Unnachahmlichkeit fast jeden berühre, der diese außergewöhnliche
Künstlerin noch persönlich erleben durfte.” Neben Leo Slezak, Jan Kiepura, Joseph Schmitt und Richard Tauber trat sie mit allen Größen der damaligen Opernwelt auf; zu ihrem engsten Freundeskreis zählte die Familie Mann, vor allen Dingen Erika und Thomas; was sie auch bewegte, nach ihrem Abschied von der Bühne, nach Kalifornien zu ziehen. In Santa Barbara lehrte sie Gesang, wobei sie kommende Größen der Opernwelt unterrichtete. Ferner entdeckte sie sich neu, in dem schrieb und malte. Ihre Bücher und Gedichte lassen einen großen Einblick in ihr Seelenleben zu und in ihren Bildern zeigt sie eine Zartheit, die so gar nichts mit der Theatralik der Opernbühne gemein hat. Obwohl Lotte Lehmann nach dem Krieg häufig in Europa war, sie wurde mit Preisen und Ehrungen schier überhäuft, blieb sie in Kalifornien und behielt auch ihre US-Staatsbürgerschaft, die sie seit 1945 innehatte. Im August 1976 verstarb sie in Santa Barbara und wurde am 24. Februar 1977 auf dem Wiener Zentralfriedhof, in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt. Damit ging ihr Wunsch in Erfüllung, in Wien ihre letzte Ruhestätte zu finden, wo sie die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte. Auf ihrem Grabstein steht Richard Strauss’ Ausspruch über sie: “Sie hat gesungen, dass es die Sterne rührte.”
Auf dem Walk of Fame in Hollywood wurde ihr ein Stern vergeben, zu finden in Höhe 1735 Hollywood Boulevard. Fälschlicherweise wird ihr Vorname dort ‚Lottie’ geschrieben.