Märkische Allgemeine, 17. Januar 1998
Der Baron und seine Protegé
Die Operndiva Lotte Lehmann und Konrad Gans Edler Herr zu Putlitz
Von Peter Hahn
Von Baron Konrad Gans Edler Herr zu Putlitz gefördert, von Otto Klemperer auf die Bühne der Hamburger Oper geholt, von Richard Strauss in Wien zu Triumphen geführt. Bevor es jedoch so weit war, wurde am 27. Februar 1888 während eines heftigen Schneetreibens in der Pritzwalker Straße 11 zu Perleberg das Mädchen Lotte Lehmann geboren.
Damit dort kein Streit über das tatsächliche Geburtshaus aufkommt, sei erwähnt, daß die Familie kurz danach in die Berliner Straße 51 umgezogen ist, weil Vater Carl inzwischen zum Sekretär der “Perleberger Ritterschaft” befördert wurde. Eine Gedenktafel findet man weder da noch dort und so kommt es, daß die Lehmann im Lexikon als amerikanische Sängerin deutscher Herkunft aufgeführt wird.
Sie gehört neben Erna Berger, Elisabeth Grümmer, Hilde Gueden, Elisabeth Schwarzkopf, Martha Mödl und Gundula Janowitz zu den herausragenden deutschen Sopranistinnen. Wie sonst würde der Klassikfreund viele ihrer zwischen 1914 und 1951 aufgenommenen Arien und Lieder heute auf CD vorfinden. Die Lehmann mit Jan Kiepura, Richard Tauber und Kirstin Flagstad, mit Bruno Walter als Pianist, unter Georg Széll, Bruno Walter, Arturo Toscanini, Hans Knappertsbusch, Erich Leinsdorf, Eugene Ormandy, die Lehmann sogar mit jenem Komponisten, der für Marlene Dietrich, Margo Lion und Oskar Karlweis das “Lied von der besten Freundin” schrieb: Mischa Spoliansky begleitete am 5. August 1926 im Odeon-Studio die Aufnahmen der “Rosenlieder” von Philipp zu Eulenburg.
In Perleberg fügte es sich, daß die wunderschöne, aber nicht ausgebildete Stimme der jungen Dame von Joachim zu Putlitz gehört wurde. Er war Intendant des Stuttgarter Hoftheaters und Bruder von Baron Konrad, der 25 Kilometer weiter das Gut in Groß-Pankow bewirtschaftete. Konrad zu Putlitz bezahlte fortan ihre Ausbildung und sorgte fürs Protegieren. Als Lotte im August 1910 wieder einmal ihre Ferien in der Prignitz verbrachte, flatterte ein Dreijahresvertrag der Hamburger Oper herein. Der Gönner hielt ihr Händchen und verabschiedete sie mit den Worten: “Bleiben Sie, wie Sie sind.”
Als in Hamburg an einem Abend zuerst Glucks Oper “Orpheus und Eurydike” gegeben wurde, in der Lotte Lehmann die Eurydike sang, und danach der “Bajazzo”, stand in den Kulissen kostümiert, geschminkt und lauschend der Gaststar Enrico Caruso: “Ah, brava, brava! Che bella voce! Che magnifica voce! Una voce italiana!”
1916 debütierte sie an der Wiener Oper als Agathe in Webers “Freischütz”. Als Elsa in “Lohengrin” und Färbersfrau in “Frau ohne Schatten” feierte sie Triumpfe. Vor allem mit den langen Wiener Jahren bis 1937 stieg sie zur weltweit anerkannten Wagner- und Strauss-Sängerin auf. Sie gastierte in Salzburg, Paris, London, Buenos Aires, Chicago, San Francisco und New York.
Göhring wollte sie zur “Nationalsängerin” machen: “Die Welt habe nach Deutschland zu kommen, um die Lehmann zu hören.” Sie lehnte ab und ihre Auftritte in Deutschland wurden rar. 1937 verließ Lotte Lehmann Europa mit der “Europa”. Die New Yorker Met wurde künstlerische Heimat, mit Sieglinde, Elisabeth, Eva, Marschallin, Elsa und Tosca verzauberte sie die Amerikaner. Für die “New York Times” wurde die “bemerkenswerte und tief anrührende Rollenverkörperung der Lehmann unvergeßlich eindringlich”.
Am 16. Februar 1951 wandte sie sich nach der Konzertpause in der New Yorker Town Hall an die Zuhörer: “Dies ist mein Abschiedskonzert. Nach 41 Jahren sollten Sie mir den Abschied nicht zu schwer machen. Die Marschallin im ‘Rosenkavalier’ blickt in den Spiegel und sagt: ‘Abtreten die Leut!’ Ich schaue in meinen eigenen Spiegel und sage ebenfalls: Abtreten die Leut!”
In den Opernkantinen wird erzählt, daß sich ihr Förderer, Baron Konrad Gans Edler Herr zu Putlitz, eines Tages von Groß-Pankow nach Hamburg aufmachte und sie bat, ihm ein Gedicht vorzulesen, das er für sie geschrieben habe. Die Lehmann soll gezittert haben. Jetzt war es also doch so weit! Wer gibt, erwartet auch etwas zurück! Der verehrte Baron als irdisches Wesen!
Wie weit allerdings die beiden gegangen sind, wird wohl auch sein Liebesgedicht “Der Baron und seine Protegé” nicht offenbaren können.
1964 ehrte sie die Bundesrepublik Deutschland mit dem Großen Verdienstkreuz, 1976 stirbt sie in Santa Barbara, wenig später wird sie auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem Ehrengrab der Republik Österreich beigesetzt. Am 27. Februar 1998 würde sie 110 Jahre. In Perleberg erinnert noch immer nichts an Lotte Lehmann.