Here are some of the poems from Lehmann’s first book of poetry, announced in this Vienna newspaper publication of 26 May 1923:

Lehmann dedicates the book to her beloved parents:

MEINEN GELIEBTEN ELTERN

Aus Windesatmen Wiesenduft, aus Sonnerstille und aus Meeresrauschen sang es zu mir. Und meine Hände reicht’ ich zögernd den Liedern hin – die oft zur Abendzeit am Wege steh’n wie heimatlose, arme Kinder, die seltsam fremd mir sind –und seltsam tief vertraut.

Nach langen Tagen, arm an Freude
reich an Sorgen. erklingen Abend-
glocken, und schöner Friede sinkt
herab. Die Liebe, die du reid: gesäet, blüht
auf in reidiem Erntesegen. Beglücke lang’
uns noch die Sonne, der Mutteraugen liebe
Sonne! Weitab das Lied der Abendglocken
mahnt uns an dunkle Nacht.

Oft faßt mich eine Angst, Du könntest
sterben, noch ehe ich das kleine rebumrankte
Haus für dich gebaut‚ wie ich’s ersehne. Da
sollst du wohnen in dem Frieden grüner
Bäume, in deren Wipfeln einer abendlichen
Sonne milder Schimmer golden träumt. Die
Sorge ging an dir vorüber — du blichst ihr
sinnend nach und weißt nichts mehr von ihr.
Mild lächelnd siehst du auf in’s Licht —
Und deiner Kinder Liebe singt von allen
Zweigen . . .

Das muß ein Großes sein: die Kraft zu
tiefster Einsamkeit. Da oben sternen-
nah zu wandeln, so hoch, daß aller
Klang der Erde so wie ein Lied der Wogen
wird, das ein urewig sprachenloses Rauschen
dem Strand entgegenträgt.

Das muß ein Großes sein: den kühlen
Odem schneebedeckter Bergesgipfel zu spüren
und zu wissen: das heiße Leben, das dort
unten in den Tälern glüht, nie ?ndet es den
Weg zu mir in meine Einsamkeit. Wo ist
die Kra?, die mich hinaufreßt in die Höhen,
nach denen einzig meine Sehnsucht geht? Die
Hände, die mich halten, heßen Liebe, Güte.

Das muß ein schmerzlich Großes sein: die
Kraft, aus lieben, gütigen Händen sich zu
Iösen und einzugeh’n in stolze Einsamkeit.

Ich glaube fast, du weißt es nicht, wie
einsam du im Grund der Seele bist. Du
gibst dein Herz in Hände, die es liebevoll
umsdtließen, aus seinen Tiefen die Gedanken
p?üchten, die aufblüh’n wie in heißen Sonnen-
strahlen. Und siehst mit einem Lächeln voll
des Glücks, wie deine Wünsche, deine Sorgen,
die ohne Schmerzen sind, zu einem Kranz
sich schlingen, der sich in Locken schmiegt,
der welken will auf einer weißen, geliebten
Stirn. Und alle Stunden, die sich zu dir neigen,
sind voller Klang und haben große, strahlen-
reine Augen, deren Glanz nicht blendet.

Bis eine Stunde kommt, die deinen Mund
verschließt. In der du siehst, daß du allein
bist, ganz allein. Denn da ist tief in dir ein
letztes, so ganz in didt versenktes Schweigen
— vielleicht kannst du’s nicht einmal nennen:
Allerheiligstes. Vielleicht ist das, was in dir
lebt, nicht gut, nicht schön. Und ist doch ganz
in dir, ein Stück von dir. Von deinem Ich.

Du aber schlägst die Augen nieder vor
denen‚ die in deinem Herzen zu lesen wähnen
und glauben: jeder Blick ist klar wie Morgen-
sonnenlicht. Und fremd ist alles um dich her,
fremd jeder Laut, fremd jeder Fremd. Und
fremd die Welten aller.

Mir Zögern brichst du nun vom Strauche
deines Wesens die Blumen ab und gibst sie
in geliebte Hände — indes die Wurzeln tief
in dir verborgen ruhen in einem Erdreich,
dessen Gärtner keines Menschen Hand ist.

Nun trennen Meilen, viele, viele Wege,
von dir mich, liebes Meer. Mir ist,
als lägen Welten zwischen dir und
mir — als sei’st du unerreichbar meinem
Grüßen. Des Nachts, wenn Räderrollen aus
staubigen Gassen hart durch meine Träume
murrt, schlaf ich nicht mehr den süßen, glück-
bewußten Schlaf, der meine Lider kosend
schloß — vor Tagen noch.

Da stand mein Fenster weit geöffnet, der
Seewind über mir, und meine Lippen tranken
seinen kühlen Atem. Die Nacht sang mir die
ewige Melodie vom Wogenbrausen und von
der dunkeln Wälder keuschem Lied. Der
Mond stand groß und still am Himmel.

Heut’ sieht er zu mir her, bleich wie ein
trauervolles Antlitz, das mich verwirrend
schreckt. Die Nacht ist voll geheimnistiefer
Stimmen — und schwül die Luft. Und irgend-
wo ein welker Duft von roten Blumen, die
ich aus Händen nahm, die kühl und leblos
sind.

Ich möchte fort aus dieser kalten Fremde.
Ich möchte wandern – viel, viel Tage. Die
Blumen alle ließ ich gern zurück. Und geh
ans Meer. Und kniee nieder, betwend zur Gott-
heit, der ich jauchzend huldige. Und über mir
des Sturmwinds donnernder Choral – und
auf in’s lichte Blau des Himmelsdoms schwingt
sich ein leuchtend weißer Vogel.

Nun bin ich wunschlos gut.

Und fühle: hier allein ist meine Heimat.

Zwei Briefe las ich heute, die mich rief
bewegten.
Es schrieb mir eine gütig-liebe Frau.
Unendlich fein sind diese Worte, fein, wie
rieselndes Gewebe spinnwebzarner Spitzen,
die man mit schlanken, schmalen Fingern
behutsam in’s gedämpfte Licht der seiden-
überdeckten Lampe taucht.

Und aus den Worten seh’n mich Freundes-
augen an:

“Ich möchte Ihnen Rosen bringen, die all’
die stille, trauervolle Schönheit des Herbstes
atmen. Die wunschlos sind. Sie sind von
mattem Weiß und leuchten wie aus innerem
Licht — ganz zart und ohne Glanz. Und
ihre Blätter lösen sich und sinken lautlos auf
den schlanken Fuß der Schale, ein’s nach dem
ander’n — reglos fast — und ohne welk zu
sein.

ln ihrer seltsam unwirklichen Schönheit
sterben so die Rosen, die ich — wie gern! —
in Ihre Hände legen möchte.”

Ein schlichtes Briefchen meiner Mutter liegt
vor mir aus alter Zeit:

“Ich denke immer nur an Euch, Ihr lieben
Kinder. Nun geh’ ich nie mehr, nie mehr fort
von Euch.”

Aus jedem Wort siehst du, geliebte Mutter,
uns tief in’s Herz. Sag’, ahnen deine guten,
treuen Augen, wie deine Liebe — unlöslich
stark — um unser ganzes Wesen rankt und
Blumen trägt‚ viel’ große, stille Rosen?

Wir bringen dir die dornenlosen, die allen
Duft und alle Süße haben, die noch der Herbst
vergeben kann. Sie sollen nun in deinen Hän-
den blüh’n — in deiner Hand, die manche
Dorne blutig riß, die keine Feierstunden kannte,
in denen müßig tändelnd sie Blumenkränze
?ocht — wenn nicht für uns! Wir nahmen —
rasch, nach Kinderart — sie hin und schmückten
unsere wirren, spielzerzausten Haare.

Dann lagerte der Blütenduft auf unserer
Stirn, so wie das Lidit der treuen Augen,
die unseres Lebens ganze Sonne sind.

Zwei Briefe las ich heute, die michtief
bewegten.

Und leise trat ich aus dem warmen Licht
der Lampe zum Fenster und sah hinab auf
winterweißes Dämmern. Auf ersten Schnee.
Fern klangen Abendglocken, ernst und
schwer.

Drei dunkle Rosen welken in kristall’ner
Schale. Ein feiner weher Dut schwebt
durch das Zimmer und gleitet matt
an seidenen Wänden ab wie kraftlos bleicher,
müder Hände Streicheln . . . Durch hoher
Fenster Spitzenhüllen ?ießt weiches Licht.
Liegt draußen, wo der Rosen Heimat ist,
ein stiller Garten — ein Teidi vielleicht, in
grüne Rasenmatten eingebettet? Und harren
blasse Wasserblumen der Nacht auf seinem
reglos glatten Spiegel?

Ein Page, jung und wunderhold geht über
leuchtend gelbe Wege in’s dunkle Grün des
tiefen Parks. Ein Sonnenstrahl weckt goldene
Lichterfunken in seinem blonden Haar. Er
geht, und seine spielerischen Hände wollen die
Rosen pflücken, die im Dunkel – da irgendwo
im Innern tief — heiß atmend glüh’n.

Die trägt er dann ins dämmernde Gemach . . .
Ihr Duft wird warm und sonnentrunken sein
und wird wie unruh’volle Wünche durch die
Stille geh’n. Und wird — am Abend — matt
auf seines Teppichs Seidenarabesken sinken,
indes die raschen Knabenhände neue Blumen
brechen. —

Wohl stille‚ wunschlos bleiche Wasserlilien.

Ich stand in voller Sonnenhelle und hielt
in den erholb’nen Händen behutsam eine
wundersame Blume. lch fühlte, wie mein
lichtes Blut durch meine Finger ?oß und hörte
durch die Stille rings die warmen Schläge
meines Herzens. Es war in mir ein sanftes
Glück — — und meine Blicke hingen an der
Blume, als sähen sie in lieber Augen un-
nennbare Tiefe.

Kennst du sie auch, die heimlich-
schweren Stimmen der Nacht, die
leise raunend zu dir reden und Worte
sagen, die du nicht fassen kannst, und deren
Klang nur macht, daß du mit großen, schlaf-
losen Augen an die Decke starrst? Du fühlst
erschauernd, wie du selbst dich leise von dir
lösest und weißt: da draußen wandelt deine
Seele‚ da, wo am Fenster der Kastanien-
baum im Nachtwind sich verschlafen regt . . .
Da lauscht sie in geheimnisvolle Ferne . ‚ .
Der Baum zu ihren Häupten schimmert durch
das Dunkel mit tausend leuchtend weißen
Kerzen.

Du aber liegst auf deinem Lager und
weinst‚ daß deine arme Seele so einsam
wartend draußen steht, wie an der Pforte
eines fremden Gartens.

Wie an der Pforte eines Gartens steh’ ich
immer — und weiß das ganz gewiß: so
war’s durch tausend Leben.