Mignon III
Dort ruh’ ich eine kleine Stille, Dann öffnet sich der frische Blick; Ich laße dann die reine Hülle, Den Gürtel und den Kranz zurück.
Und jene himmlischen Gestalten Sie fragen nicht nach Mann und Weib, Und keine Kleider, keine Falten Umgeben den verklärten Leib.
Zwar lebt’ ich ohne Sorg’ und Mühe, Doch fühlt’ ich tiefen Schmerz genung. Vor Kummer altert’ ich zu frühe; Macht mich auf ewig wieder jung!
There I will repose a moment in peace, until I open my eyes afresh; then I will leave behind the spotless garment, the girdle and the wreath.
And those spirits of heaven do not ask whether one is `man’ or `woman’, and no clothes, no robes will cover my transfigured body.
Although I have lived without trouble and toil, I have still felt deep pain. Through sorrow I have aged too soon; Make me forever young again!
Harfenspieler II
Jeder wird sich glücklich scheinen, Wenn mein Bild vor ihm erscheint, Eine Träne wird er weinen, Und ich weiß nicht, was er weint.
Everyone will think himself lucky when he sees me before him; a tear will he shed, but I won’t know why he weeps.
Mignon II
Ach! der mich liebt und kennt, Ist in der Weite. Es schwindelt mir, es brennt Mein Eingeweide. Nur wer die Sehnsucht kennt Weiß, was ich leide!
Ah! he who loves and knows me Is far away. I am reeling, My entrails are burning. Only one who knows longing Knows what I suffer!
Harfenspieler III
Ihr führt ins Leben uns hinein, Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Pein: Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
You lead us into life, You let the wretched man feel guilt, And then you leave him to his pain – For all guilt avenges itself on earth.
Mignon: Kennst du das Land?
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach. Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: Was hat man dir, du armes Kind, getan? Kennst du es wohl? Dahin! dahin Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg; In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; Es stürzt der Fels und über ihn die Flut! Kennst du ihn wohl? Dahin! dahin Geht unser Weg! O Vater, laß uns ziehn!
Do you know the house? On columns rests its roof. The great hall glistens, the chamber shines, And the marble statues stand and look at me: What have they done to you, poor child? Do you know it well? There! there I would go with you, oh my protector.
Do you know the mountain and its path amidst the clouds? The mule searches in the fog for its way; In caves dwells the dragon of the old breed; The cliff falls, and over it the flood! Do you know it well? There! there Leads our way! oh father, let us go!
The following Mignon song was not used on the 2016 Goethe program.
Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf Die finstre Nacht, und sie muß sich erhellen, Der harte Fels schließt seinen Busen auf, Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen.
Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh, Dort kann die Brust in Klagen sich ergießen, Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu, Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen.
At the right time, the sun’s course will dispel the dark night, and it must be illuminated. The hard rock will open its bosom; and ungrudgingly, the earth will release deep hidden springs.
Others may seek calm in the arms of a friend; there one can pour out one’s heart in lament. But for me alone, a vow locks my lips, And only a god has the power to open them.